Bund-Länder-Beschluss zu geplanten Verschärfungen bei Abschiebungen und Abschiebehaft

Hier eine PM von Abschiebereporting NRW:

Nordrhein-Westfalen steht an der Spitze der abschiebenden Bundesländer. Im vergangenen Jahr wurden 3.118 Menschen aus NRW abgeschoben. Jede einzelne dieser Abschiebungen geht mit Gewalt und Leid einher. Wie die Dokumentationen des Abschiebungsreporting NRW zeigen, sind davon oft auch Kinder oder vulnerable Personen betroffen. Trotzdem gibt es in der medialen und politischen Debatte Akteur:innen, die behaupten, es würde in Deutschland gar nicht abgeschoben. Das ist natürlich Unsinn.

Bund und Länder wollen nun aber noch mehr abschieben als schon bisher. Sie haben bei ihrem Treffen am 10. Mai 2023 ein Papier beschlossen, in dem auch eine Fülle an Verschärfungen bei Abschiebungen und Abschiebehaft enthalten sind. Zwar ist die Ministerpräsident:innenkonferenz kein verfassungsrechtlich vorgesehenes Gremium, dennoch kann davon ausgegangen werden, dass viele der in dem Beschlusspapier enthaltenen Forderungen schon bald in Gesetzesentwürfe münden werden. Auch die Landesregierung von NRW muss sich dann im Bundesrat dazu positionieren. Bereits im Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP auf Bundesebene war Ende 2021 von einer sogenannten „Rückführungsoffensive“ die Rede, auf die auch in den Debatten im nordrhein-westfälischen Landtag immer wieder verwiesen wird.

Drei Seiten Verschärfungsrhetorik

Drei Seiten widmeten Bundeskanzler Olaf Scholz und die Ministerpräsident:innen der Bundesländer dem Thema Abschiebungen und Abschiebehaft in ihrem Beschlusspapier vom 10. Mai 2023 zum Abschluss des Bund-Länder-Gipfels (sh. Kapitel 6). „Der Bundeskanzler und die Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder stimmen darin überein, dass gesetzliche Regelungen, die Abschiebungsmaßnahmen verhindern oder zumindest erschweren, anzupassen“ seien, heißt es darin. Es sollen weitere Haftgründe im Abschiebehaftrecht etabliert werden. Daneben soll das sogenannte „Ausreisegewahrsam“, eine besonders leicht zu verhängende Form der Abschiebehaft, von bisher 10 auf maximal 28 Tage verlängert werden. Den Behörden soll es zudem erleichtert werden, bei Abschiebungen auch andere Räumlichkeiten als das Zimmer der betroffenen Personen in Lagern für Geflüchtete zu betreten. Damit würde der Grundrechtsschutz für die betroffenen Menschen noch weiter ausgehebelt.

Die Abschiebung „erheblich straffälliger Ausländer in ihre Herkunftsländer mit Abschiebestopp“ soll „nicht per se ausgeschlossen werden“, heißt es weiter in dem Beschlusspapier. Damit stellen Bund und Länder offenbar in den Raum, dass sie zukünftig auch wieder nach Afghanistan und Syrien abschieben wollen, oder aber in Länder wie Eritrea, in die es zurzeit kaum Abschiebungen gibt. Zuletzt hatten in NRW der Oberbürgermeister von Duisburg und der Landesvorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft Abschiebungen nach Syrien gefordert.

Ausweitung der Liste der sogenannten sicheren Herkunftsstaaten gefordert

Außerdem sollen weitere Staaten als sogenannte sichere Herkunftsstaaten definiert werden. Das Beschlusspapier von Bund und Ländern nennt hier Georgien und Moldau. Bundeskanzler Olaf Scholz hat dieses Vorgaben im Bundestag in einer Regierungsbefragung am 05. Juli 2023 bestätigt und darauf hingewiesen, dass ein Gesetzentwurf dafür bereits in Vorbereitung sei. Die Rechtsmittel gegen ablehnende Asylbescheide sind bei diesen Herkunftsstaaten deutlich eingeschränkt, indem Fristen deutlich verkürzt sind und auch während der Gerichtsverfahren abgeschoben werden kann. Daneben haben Geflüchtete aus sogenannten sicheren Herkunftsstaaten eingeschränkte soziale Rechte. Sie unterliegen zudem einem ausnahmslosen Arbeitsverbot. Das politische Ziel dahinter ist auch die noch raschere Abschiebung der Betroffenen. Warum etwa die Republik Moldau keinesfalls sicher ist, zum Beispiel für Rom:nja, zeigt eine aktuelle Stellungnahme des Roma Center e.V., des Komitees für Grundrechte und Demokratie e.V. und vieler anderer Organisationen und Verbände auf.

Die Innenminister_innenkonferenz hat im Juni 2023 sogar gefordert, noch fünf weitere Staaten als „sicher“ einzustufen: Algerien, Armenien, Indien, Marokko und Tunesien. Die Liste würde damit von jetzt acht auf 15 Staaten anwachsen. Die Einstufung sogenannter sicherer Herkunftsstaaten ist zustimmungspflichtig im Bundesrat, in dem NRW über sechs Stimmen verfügt. „Die pauschale Einordnung als sichere Herkunftsländer ist eine Scheinlösung. Bei Asylverfahren muss es immer eine Einzelfallbetrachtung der Asylgründe geben“, ließ sich Benjamin Rauer, fluchtpolitischer Sprecher der Grünen-Landtagsfraktion im Mai 2023 gegenüber der Westfalenpost zitieren. Ministerpräsident Wüst verwies darauf, dass kaum Schutzsuchende aus Georgien und Moldau nach NRW flüchten.

Was konkret von diesen Vorhaben gesetzlich verankert wird, werden die nächsten Monate zeigen. Die öffentliche politische Rhetorik zeigt jedenfalls: der Druck auf Menschen mit unsicherem Aufenthaltsstatus soll noch einmal deutlich gesteigert werden. Und dass sich nur wenige Bundestagsabgeordnete gegen weitere Gesetzesverschärfungen bei der Abschiebehaft oder der Ausweitung der sogenannten sicheren Herkunftsstaaten aussprechen, wurde im Mai und Juni 2023 schon in Debatten im Bundestag deutlich (Video der Bundestags-Debatte vom 25. Mai 2023; Bundestag Plenarprotokoll v. 25. Mai 2023, S. 12788D ff.; Video der Bundestags-Debatte vom 22. Juni 2023; Bundestag Plenarprotokoll vom 22. Juni 2023, S. 13738C ff.). Die CDU-/ CSU-Fraktion hatte zu beiden Themen gesonderte Gesetzesänträge eingebracht.

Praxis der Abschiebehaft in NRW ist schon jetzt gravierend

Die Anzahl der Inhaftierungen in Abschiebehaft in NRW ist schon jetzt gravierend hoch, wie ein Blick in die Statistik zeigt: Im ersten Quartal 2023 wurden 877 Menschen aus NRW abgeschoben, während im gleichen Zeitraum 315 Männer im Abschiebegefängnis Büren inhaftiert worden sind (sh. Landtag NRW Vorlagen 18/1324 A 19 und 18/1332 A 19). 2022 wurden aus NRW 3.118 Menschen abgeschoben, während im gleichen Zeitraum 1.131 Männer in Büren in Abschiebehaft inhaftiert worden sind (sh. Landtag NRW Vorlagen 18/530 A 19, 18/954 A 19 und 18/955 A 19). Allein die Zentrale Ausländerbehörde Essen hat im Jahr 2022 110 Haftanträge für Abschiebehaft gestellt.

Dabei sind in den o.g. Zahlen Frauen noch nicht einmal mit enthalten, die nicht in Büren inhaftiert werden, sondern in der Regel im rheinland-pfälzischen Ingelheim. Denn vierteljährliche Daten legt die Landesregierung NRW dem Landtag nur zu in Abschiebehaft inhaftierten Männern regelmäßig vor.

Wichtig ist dabei: Abschiebehaft ist ein Freiheitsentzug, der ausschließlich der späteren Abschiebung dient. Es gibt keinen Bezug zu strafrechtlichen Sachverhalten.

Bemerkenswert ist auch: Insgesamt wurden im Zeitraum 01.01. – 31.12.2022 248 Menschen aus dem Abschiebegefängnis Büren entlassen, die nicht direkt abgeschoben wurden. Im ersten Quartal waren es 75 Menschen (jeweils eigene Berechnung auf Basis von: Landtag NRW Vorlagen 18/530 A 19, 18/1332 A 19). Dies kann ganz unterschiedliche Gründe haben. Dazu zählt etwa, dass die Abschiebung gerichtlich gestoppt wird, eine Erkrankung vorliegt oder der Flug storniert wird. Die Landesregierung NRW macht dazu keine näheren Angaben. In Prozenten ausgedrückt, wurden im Jahr 2022 mehr als 20 % der im Abschiebegefängnis Büren inhaftierten Menschen nicht abgeschoben. Im ersten Quartal 2023 waren es rund 24 % der inhaftierten Menschen. Das heißt auch, hunderte Menschen werden in NRW oft über Tage oder Wochen inhaftiert, ohne dass es anschließend zu einer Abschiebung kommt.

Außerdem erweisen sich viele der Inhaftierungen in NRW im Nachgang als rechtswidrig. Das Abschiebungsreporting NRW erfährt regelmäßig von solchen Fällen. Bundesweite Zahlen zeigen gar seit Jahren eine Rechtswidrigkeit in über 50 % der Fälle auf. Das Problem: Bund und Länder führen selbst keine transparente Statistik.

Trotz all der Fakten sind die Pläne der Landesregierung für ein weiteres Abschiebegefängnis nahe des Flughafens in Düsseldorf weiterhin nicht vom Tisch, wie das Bündnis `Abschiebegefängnis verhindern – in Düsseldorf und überall´ jüngst berichtet hat. Die Landesregierung NRW stellt keine Transparenz darüber her.

Kontakt:Abschiebungsreporting NRW
Komitee für Grundrechte und Demokratie e.V., Köln
Sebastian Rose
Telefon 0221 / 972 69 32
Mobil 01575 / 40 35 862
E-Mail: rose (at) abschiebungsreporting.de
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